Den Stock in der Hand, das Ziel vor Augen

Seit ihrer Geburt ist Andrea Blaser Mühlhaupt blind. Vor kurzem hat die Sozialarbeiterin aus Zürich an der FHS St.Gallen den CAS Case Management abgeschlossen. Der Weg mit der Bahn von der Limmat- in die Gallusstadt war nicht die einzige Hürde, die sie für diese Weiterbildung überwinden musste. Trotzdem würde sie sich wieder dafür entscheiden.

«Es war schon mutig», sagt Andrea Blaser Mühlhaupt. Mit mutig meint die Sozialarbeiterin die Tatsache, dass sie sich kurzfristig zu einer Weiterbildung an der FHS St.Gallen anmeldete, ohne die Wegstrecke dorthin zu kennen. Die Zürcherin, die sich auf der Gemeindeverwaltung Regensdorf um die Integration von Arbeitssuchenden kümmert, ist seit ihrer Geburt blind. Lediglich hell und dunkel kann sie noch wahrnehmen. Farben sind ihr fremd. «Ich weiss nicht, was rot ist», erklärt die 50-Jährige. Unbekannte Orte sind für sie eine Herausforderung. «Wenn ich an einem Bahnhof ausserhalb der mir vertrauten Stadt Zürich aussteige, kenne ich die Wege nicht. Ich muss sie zuerst einüben.»

Der Hund kennt keine Raumnummern

Unterwegs ist Andrea Blaser Mühlhaupt meist Seite an Seite mit ihrem Blindenführhund Vélia. Die Labradordame begleitete sie auch zur Weiterbildung nach St.Gallen. Trotzdem war die Absolventin des CAS Case Management froh, auch auf menschliche Unterstützung zählen zu können. Am ersten Schultag habe sie eine Mitarbeiterin des Weiterbildungszentrums am Bahnhof abgeholt und in die Klasse gebracht, erzählt Andrea Blaser Mühlhaupt. Auch danach habe sie viel Hilfsbereitschaft erlebt. Etwa, wenn es darum gegangen sei, den richtigen Raum zu finden. «Das war schwierig, weil die Räume manchmal von Tag zu Tag wechselten», sagt sie. Während es für andere eine Selbstverständlichkeit sei, die Raumnummer am Bildschirm in der Eingangshalle abzulesen, sei ihr das nicht möglich. «Da kann mir auch der Hund nicht weiterhelfen.»

Der Unterricht an sich bereitete Andrea Blaser Mühlhaupt keine Schwierigkeiten. Notizen machte sie sich stets mit einem besonderen Gerät, das über eine Tastatur in Blindenschrift verfügt. Trotzdem galt es, die eine oder andere technische Hürde zu bewältigen. Aber auch da habe sie viel Unterstützung erhalten, sagt die Sozialarbeiterin. Zum Beispiel hätten ihr die Lehrgangsleiterin und einzelne Dozierende jeweils die Inhalte aus den Power-Point-Präsentationen im einfacher lesbaren PDF-Format aufbereitet. «Die Studienkoordinatorinnen halfen mir ebenfalls dabei, Barrieren abzubauen», sagt Andrea Blaser Mühlhaupt. «Unter anderem, als es um die Formateinhaltung der Abschlussarbeit ging.» Auch wenn es sonst mal «gebrannt» habe, sei ihr die zuständige Studienkoordinatorin immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden.

Offen, unkompliziert und angenehm

Die Atmosphäre an der FHS erlebte Andrea Blaser Mühlhaupt als offen, unkompliziert und angenehm. Für den Studienplatz St.Gallen hat sie sich anfänglich aber aus einem ganz einfachen Grund entschieden. «In Zürich gab es kein vergleichbares Angebot zum CAS Case Management», sagt sie. Eine Weiterbildung an der FHS St.Gallen würde sie wieder machen. Nebst der Hilfsbereitschaft der anderen hat sie auch den «interessanten fachlichen Austausch» im Lehrgang sehr geschätzt. Dennoch müsse man sich als sehbehinderte Person gut organisieren können, wenn man eine Weiterbildung anpacken wolle, sagt Andrea Blaser Mühlhaupt. «Das bedeutet auch, dass man sich traut, andere um Hilfe zu bitten.»

Im Mai konnte die Zürcherin ihr Zertifikat entgegennehmen. Leider sei es selbst für qualifizierte blinde Personen sehr schwierig, Barrieren bei Arbeitgebern abzubauen, um eine neue Anstellung zu finden, sagt sie. Ihrem Ziel, sich beruflich weiterzuentwickeln ist sie trotzdem ein Stück nähergekommen.

Anlaufstelle barrierefreie Hochschule
Die FHS St.Gallen verfügt über die Anlaufstelle barrierefreie Hochschule. Diese berät, unterstützt und begleitet Studierende und Mitarbeitende, die durch eine Beeinträchtigung oder eine chronische Krankheit zusätzliche Herausforderungen zu bewältigen haben. Ziel ist es, ihnen eine chancengleiche Teilhabe zu ermöglichen.