«Das kriegen wir schon hin»

Evi Ketterer bezeichnet die Frage, wer sie sei, als lebenslanges Koan. Sie betreut für die Spitex des Kantons Zug unheilbar erkrankte Personen sowie deren Angehörige. Ausserdem arbeitet sie an ihrem zweiten Buch und befasst sich intensiv mit Spiritualität, der Ganzheitlichkeit der Menschen und der Würde des Sterbens. Ein Porträt.

Evi Ketterer (51) ist Buddhistin und hat die Frage, wer sie ist, kurz und bündig mit „ein lebenslanges Koan“ beantwortet. Damit hat sie die Autorin dieses Porträts überfordert. Denn diese hätte Antworten erwartet wie «Evi Ketterer, Pflegefachfrau, spezialisiert auf Palliative Care, bei der Spitex Zug im Einsatz». Ketterer erklärt: «Koan stammt aus dem Buddhismus. Ein Koan ist eine nicht rational lösbare Frage, wie beispielsweise die Frage wer man eigentlich ist.» Oftmals seien dies auch Zwiegespräche zwischen buddhistischen Lehrmeistern und ihren Schülern, aber auch zwischen Patienten und Pflegefachfrauen in der Palliative Care. Aber der Reihe nach.

Vertrauen aufbauen

In ihrer täglichen Arbeit im Palliative Care Team der Spitex des Kantons Zug begleitet und betreut Evi Ketterer Sterbende und deren Angehörige. «In der Palliative Pflege ist mir wichtig, den Menschen eine gewisse Sicherheit zu geben und ein Vertrauensverhältnis mit ihnen aufzubauen.» Unheilbar erkrankte Personen wie auch deren Umfeld müssten sich auf jemanden verlassen können, der ihnen Optionen aufzeigen und sie unparteiisch begleiten könne. «Sie müssen wissen, dass wir das mit dem Sterben schon hinkriegen», meint Evi Ketterer etwas salopp. Damit diese Sicherheit vermittelt werden könne, brauche es einerseits Fachwissen, andererseits aber auch Lebenserfahrung und selbst erlebte Trauer, Erfahrungen mit Verlusten und Vergänglichkeit.

Würde des Sterbens

Evi Ketterer ist ausgebildete und diplomierte Pflegefachfrau. Sie hat sich im Verlauf ihrer Berufslaufbahn in Anästhesie und Intensivpflege spezialisiert und vor gut einem Jahr den Lehrgang Interprofessionelle spezialisierte Palliative Care abgeschlossen. «Irgendwann in meinem Dasein als – wie ich es nenne –  hightech Pflegefachfrau habe ich begonnen, mich für die Würde des Sterbens einzusetzen», erzählt sie. Sie beschäftigte sich mit der Frage, was Würde überhaupt ist? Und ob einem die Würde überhaupt genommen werden kann? Ihr sei dabei aufgefallen, dass die Spiritualität und die Ganzheitlichkeit der Menschen in der Sterbebegleitung zu wenig oder gar nicht berücksichtigt werden. In den USA fand sie eine buddhistische Lehrerin, die Kurse anbietet für Menschen, die professionell Sterbende betreuen. Ketterer bildete sich dort weiter, besuchte Kurse zu «Beiing with Dying» und bot schliesslich selber am ZEN-Center in Los Angeles interreligiöse Kurse zum Umgang mit Sterben, Sterbenden und der eigenen Vergänglichkeit an.

Sterbenden eine Stimme geben

Weil es Evi Ketterer wichtig ist, dass Sterbende normale Menschen sind und Sterben ein zeitlich begrenzter, oft tabuisierter Lebensabschnitt ist, hat sie das Buch «Geschichten intimer Beziehungen – Sterbebetreuung einmal anders erzählt» geschrieben. Nein, das sei kein medizinischer Ratgeber für Sterbende oder solche die sich noch nicht als solche bezeichnen. «Ich wollte den Sterbenden meine Stimme leihen, damit ihre Lebensgeschichte zu Ende erzählt wird», erklärt Ketterer. «Der einzig aufrichtige Stil dafür war für mich, auch meine Verletzlichkeiten und Gedanken einzubringen. Und über die Intimität der Beziehung zu reden, wie ich unsere gemeinsame Geschichte als Pflegefachfrau erlebt habe.» Zurzeit schreibt Evi Ketterer an ihrem zweiten Buch, einem Kommentar zu einem buddhistischen Lehrgedicht aus dem 12. Jahrhundert. Zudem meditiert sie regelmässig und liest viel. Sie ist geschieden und lebt in Affoltern am Albis. Mehr zu Evi Ketterer lesen Sie auf ihrer Webseite.