Das Passbuch des Grenzgängers

«Wer im Passbuch des Grenzgängers keine Eintragungen hat, steht unter Verdacht, noch gar nichts gewagt zu haben.» (Reinhard Kahl, Filmemacher und Erziehungswissenschafter)

Flughafen Kloten, Terminal 2. Last Call an alle Passagiere des Flugs LX 1664 nach Venedig, sich umgehend im Gate A58 einzufinden. Die Passagiere der «Creative Class» (14 Kaderleute aus der ganzen Schweiz) treffen dort auf zwei Zollbeamte, die sie ins «Passbuch des Grenzgängers» einführen und die «Einreise ins Grenzgebiet des Neuen» mit einem Stempel bestätigen, bevor sie sich auf den «Nachtflug nach Venedig» begeben.

Geschichtenzoll am Aeroporto Marco Polo di Venezia - Bild Andreas Peter

Geschichtenzoll am Aeroporto Marco Polo di Venezia (Fotograf: Andreas Peter)

In Venedig angekommen nimmt die «Reise mit ungewissem Verlauf und Ausgang» ihren Lauf, die Grenzgängerinnen und Grenzgänger beginnen mit Grenzen zu experimentieren, gehen Grenzen entlang, hinterfragen sie oder loten sie aus. Und werden sich bewusst, welche Grenzen sie selber gesetzt haben, wann und wo sie ihre eigenen Zollbeamten sind, die ihnen den Weg versperren.

72 Stunden später, Aeroporto Marco Polo Di Venezia. Die Koffer sind eingecheckt, letzte Einträge im Passbuch gemacht. Zurück im Zwischenland, im «Grenzgebiet des Neuen», fahren die Grenzgänger mit der Rolltreppe direkt auf den Geschichtenzoll zu. Hier kann Neues deklariert und Altes verzollt werden. «Ich lasse den Stolz in mir zu, dass ich einiges an Neuem mitbringe», sagt ein Grenzgänger und freut sich: «Es gibt sie, die Zollbeamten, die mehr Interesse zeigen an meinen Geschichten als an den Waren, die ich mit mir führe.»

Wenig später heben die Passagiere der Creative Class ab, um Distanz zu gewinnen und aus der Vogelperspektive auf die letzten Tage zurückzublicken. Was sie erlebt und ihrem «Passbuch des Grenzgängers» notiert haben, bleibt ihr Geheimnis.

Mark Riklin, Arrangeur