Gemeindepräsident – anspruchsvolles Amt mit geringem Status

Wer sich heute auf kommunaler Ebene engagiert, muss in unterschiedlichen Spannungsfeldern bestehen können. Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger sind hoch. Auch kleine Gemeinden müssen Service Public erbringen. Gleichzeitig sind die Aufgaben komplexer geworden und die Transparenz des eigenen Handelns nimmt wegen der Sozialen Medien stetig zu. Der Gemeindepräsident von Walenstadt, Werner Schnider, und die Leiterin des Lehrgangs Gemeindeentwicklung, Sara Kurmann Meyer, über aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen.

Welches sind die grössten Herausforderungen für Gemeinden?

Schnider: Eine der grössten Herausforderungen sind die faire Zusammenarbeit und vermehrte Kooperationen zwischen den Gemeinden. Nicht alle Aufgaben lassen sich im Alleingang sozialverträglich, effizient und kostengünstig lösen. Der grosse Steuerwettbewerb in der Schweiz hat die Solidarität unter den Gemeinden geschwächt. Verschiedene Bevölkerungsschichten werden infolge der hohen Mietkosten in den steuergünstigen Gemeinden in andere Regionen verschoben.

Kurmann: Der Trend zu Kooperationen und Fusionen zeigt sich auch im Umgang mit dem demografischen Wandel, der viele Gemeinden stark beschäftigt. Die Zahl der Pflegebedürftigen, gerade auch der Demenzerkrankten wird weiter ansteigen. Die Angehörigen müssen entlastet werden. Die Gemeinden sind gefordert entsprechende Strukturen zu schaffen. (Stationär und ambulant). Solche Aufgaben sind – wie viele andere auch – als einzelne Gemeinde schwer lösbar.

Wie hat sich die Funktion eines Gemeindepräsidenten in den letzten Jahren verändert?

Schnider: Die Funktion als Gemeindepräsident fordert immer mehr juristisches Detailwissen. Die Verarbeitung der vielen Informationen und Tätigkeiten in verschiedenen Gremien sind interessant aber auch zeitintensiv. Dabei ist auch die Trennung des Wesentlichen vom Unwichtigen nicht immer so einfach.

Das Zusammenleben von Personen verschiedener Kulturen auf engerem Raum bringt auch Probleme mit sich. Die notwendige Toleranz schwindet immer mehr. Anstelle von weniger Gesetzen und Reglementen werden immer mehr Einschränkungen und Kontrollen gefordert. Man merkt auch, dass sich die Gesellschaft verändert und nicht alle Menschen der Veränderung folgen können. Das Rechtsempfinden und die Einstellung zu Gesetzen und Regeln verändern sich. Zudem nimmt der Respekt gegenüber den Behörden, der Verwaltung und der Polizei schleichend ab.

Kurmann: Das Amt des Gemeindepräsidenten ist in den letzten Jahren anspruchsvoller geworden und hat an Status eingebüsst. Wer sich heute kommunal engagiert, muss in unterschiedlichen Spannungsfeldern bestehen können. Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger sind hoch, auch kleine Gemeinden müssen Service Public erbringen. In vielen Gemeinden ist es deshalb schwierig, für das Amt geeignete Kandidatinnen und Kandidaten zu finden. Gerade dort, wo das Exekutivamt als Nebentätigkeit ausgeübt werde, ist die finanzielle Entlöhnung bescheiden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Nebenamt (und Familie) ist schwieriger geworden. Die Bereitschaft der Leute für ein politisches Engagement hat deutlich abgenommen. Menschen engagieren sich heutzutage allgemein lieber punktuell für Projekte, als sich im Rahmen langjähriger Ämter zu engagieren.

Welchen Einfluss und welche Auswirkungen hat die zunehmende Transparenz des Handelns von Politikern aufgrund der Sozialen Medien?

Kurmann: Die Politik ist mehr denn je medialer Beobachtung und Kritik ausgesetzt. Die unbedachte Nutzung neuer Medien kann das Ende einer politischen Karriere bedeuten. Kommunikation wird zum Risiko. Die Skandalisierungslogik der Medien führt dazu, dass Fehltritte sofort in die Öffentlichkeit gelangen. Deshalb ist es wichtig, dass Kommunalpolitisierende mit neuen Medien professionell umgehen können.

Schnider: Man muss sich jederzeit gut überlegen, was man sagt, schreibt oder wie man sich gibt. Schnell wird man missverstanden, falsch interpretiert und recht unfreundlich kommentiert. Dies kann wiederum schnell ein Medienhype auslösen.

Das neue Öffentlichkeitsgesetz mit seinen Möglichkeiten erzeugt uns zusätzlichen Aufwand. Die Behörde muss sich an das Amtsgeheimnis halten und kann daher nicht immer alles sagen und offenlegen, was zur Klärung von Fragen dienen würde. Es ist daher wichtig die neuen Möglichkeiten sinnvoll und angemessen zu nutzen.

Werner Schnider, Sie haben an der FHS die Weiterbildung CAS Gemeindeentwicklung besucht. Wieso?

Als Quereinsteiger aus der Privatwirtschaft war ich nicht mit allen Themen und Aufgaben vertraut. Deshalb wollte ich ein paar spezifische Fachgebiete vertiefen und mit anderen Gemeindeführungskräften oder Verwaltungsangestellten die Erfahrungen austauschen. Persönlich finde ich, dass jedes Gemeindebehördenmitglied, welches keine Verwaltungserfahrung mitbringt, den CAS Gemeindeentwicklung absolvieren sollte.

Wie konnten Sie für Ihre Funktion davon profitieren?

In verschiedenen Modulen konnte ich Neues erfahren, Wissen vertiefen und gute Methoden erlernen. Beispielsweise im Projekt- und Verwaltungsmanagement. Viel gebracht haben mir auch die Themen „Gemeinden zwischen Kooperation und Konkurrenz“ oder „Organisation einer Gemeinde“. Sehr wertvoll waren auch der Austausch und die Gespräche mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie den Dozierenden. Mit dem Praxisprojekt (Abschlussarbeit) bearbeiteten wir im Team das Thema „Leben im Alter“ welches in unserer Gemeinde für die Zukunft enorm wichtig ist.

Zu den Personen:

Sara KurmannSara Kurmann Meyer (33) ist verheiratet und hat eine Tochter. Zusammen mit St.Galler und Thurgauer Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten hat sie den Lehrgang CAS Gemeinde-entwicklung aufgebaut. Im Frühling 2016 startet der Lehrgang nun bereits zum 4. Mal. Seit 2014 leitet Sara Kurmann Meyer das Ostschweizer Zentrum für Gemeinden an der FHS St. Gallen. In ihrer Freizeit ist sie mit dem Bike unterwegs, tanzt West-Coastswing oder geht gerne auf Reisen.

Werni SchniderWerner Schnider (55) ist ebenfalls verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Seit dem 1. Februar 2007 ist er Gemeinde-präsident in Walenstadt. Zu seinen Hobbys gehören Sport, Biken und das Tessin. Vor zwei Jahren bildete er sich an der FHS im CAS Gemeindeentwicklung weiter.