«Stabile Netzverbindungen sind wichtiger als Räume»

Wie bilden sich Menschen in Zukunft weiter? Lernen sie zuhause am Computer oder in Klassenzimmern? Welche Rolle spielen die Lehrpersonen? Mit diesen und anderen Fragen hat sich Maria Härvelid in ihrer Masterarbeit über die Weiterbildung 4.0 auseinandergesetzt. Die Bereichsleiterin Weiterbildung am Bildungszentrum für Gesundheit und Soziales des BBZ Weinfelden hat an der FHS St.Gallen den Executive Master of Business Administration (EMBA) absolviert. Im Interview spricht sie über zukünftige Orte des Lernens, über Bildungsmanager als neue Berufsgruppe und über Wissensvorkoster.

Frau Härvelid, wie sehen Sie die Weiterbildung in 50 Jahren?

Die Weiterbildung wird in 50 Jahren viel ortsunabhängiger stattfinden. Ich stelle mir vor, dass sich kleine Gruppen von interessierten Personen irgendwo auf der Welt treffen, wo sie eine spannende Entwicklung ihres Fachbereichs mitverfolgen können. Wenn es um Apps geht, kommen sie zum Beispiel im Silicon Valley zusammen. Vor und nach diesem Treffen sind die Teilnehmenden über Messenger-Dienste in Kontakt. Ein Lernberater oder eine Lernberaterin begleitet diese Prozesse und koordiniert den sozialen Austausch. Der soziale Aspekt des Lernens wird nämlich nicht wegfallen, davon bin ich überzeugt. Es ist und bleibt wichtig, Erfahrungswissen auszutauschen.

Warum sprechen Sie von Lernberatern?

Man kann davon ausgehen, dass die Weiterbildung in Zukunft immer spezialisierter abläuft. Im Unterricht geht es nicht mehr darum, standardisiertes Wissen zu vermitteln, denn das können sich die Teilnehmenden bereits im Vorfeld online aneignen. Währenddessen besteht die Herausforderung darin, aus der wachsenden Menge an Daten diejenigen herauszufiltern, die für den Einzelnen wichtig sind. Lehrbeauftragte werden damit zu Lernberaterinnen und Lernberatern. Sie durchforsten die Datenflut und ermöglichen den Lernenden eine individuelle Zusammenstellung der Informationen, welche diese für die Praxis benötigen. Sie kosten das Wissen quasi vor.

Wissen ist durch die Digitalisierung unabhängig von Zeit und Ort zu haben – oft auch kostenlos. Ist die Weiterbildung an Fachhochschulen dem Untergang geweiht?

Eine Fachhochschule kann sich sehr wohl ihren Platz erhalten, indem sie sich regional vernetzt und die Zusammenarbeit mit Unternehmen anstrebt. Eine Idee dabei ist, dass die Weiterbildungsinstitutionen die HR-Abteilung von Firmen unterstützen – mit sogenannten Bildungsmanagern. Bildungsmanagerinnen und -manager coachen Einzelne oder Mitarbeitergruppen und suchen für sie die passenden Weiterbildungen. Zudem organisieren sie Inhouse-Schulungen und entwickeln Individuallösungen für High Potentials. Dies gewährleistet, dass die Weiterbildungen optimal auf die Bedürfnisse der Unternehmen abgestimmt sind. Und es trägt sicher auch dazu bei, die Arbeitgeber mehr für dieses Thema zu begeistern. Bis jetzt sind diese erwiesenermassen weniger zufrieden mit dem Output von Weiterbildungen als die Teilnehmenden selbst.

Und was ist mit dem klassischen Präsenzunterricht?

Personen zwischen 45 und 60 Jahren schätzen den Präsenzunterricht und die Konstanz in der Gruppe, während die jüngere Generation auf Blended Learning setzt, eine Lernform, die nebst Präsenzunterricht auch E-Learning-Einheiten beinhaltet. Diese sogenannten Creativiteens sind die Weiterbildungskunden der Zukunft. Sie sind nicht weniger ehrgeizig und interessiert. Doch sie begrüssen ein entspanntes Umfeld und möchten selbst bestimmen, was, wann und wo sie lernen.

Was bedeutet dies für die Hochschulen?

Eine Bildungseinrichtung tut gut daran, nicht in zusätzliche Räume, sondern in stabile Netzverbindungen zu investieren, die der Digitalisierung Rechnung tragen. Entsprechende Technologien auszuwählen, soll aber nicht einfach an die IT-Abteilung übertragen werden, sondern gehört in die Hände digital kompetenter Personen, die sowohl eine Affinität für Technik als auch für Weiterbildung haben. Wichtig ist, ganzheitlich zu betrachten, wie Menschen in Zukunft lernen wollen, um nicht der Gadgetisierung zu verfallen.

Wenn Sie auf Ihre Weiterbildung an der FHS St.Gallen zurückblicken, welche digitalen Dienstleistungen konnten Sie bereits in Anspruch nehmen?

Ich habe es geschätzt, über Plattformen jederzeit zu den Unterrichtsunterlagen zu gelangen. Zudem liefen die meisten Prozesse automatisiert ab. Auf diese Weise kann sich die Administration vermehrt beratenden Aufgaben widmen, was ich sehr begrüsse.   

Spielt es in Zukunft noch eine Rolle, an welcher Hochschule man einen Abschluss macht?

Standardisierte Abschlüsse haben für die Weiterbildungsteilnehmenden der Zukunft weniger Bedeutung. Viel zentraler wird, dass sie als Individuum Credit Points sammeln – mit Inhalten, die auf sie zugeschnitten sind. Zum Beispiel absolviert jemand einen MOCC, einen Massive Open Online Course, und bekommt dafür Punkte. Vielleicht besucht er dann noch ein fünftägiges Seminar und erhält weitere Punkte. Was am Schluss zählt, ist nicht ein bestimmter Titel, sondern die Anzahl Punkte, die zu einem «unabhängigen» Abschluss führt. Sprich einem Abschluss, der nicht an eine bestimmte Hochschule gebunden ist.  Dass man sich weiterbildet bleibt aber wichtig – ganz im Sinne des lebenslangen Lernens.