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«Ich wünsche mir experimentierfreudige Personen»

Wieso wünscht sich Selina Ingold experimentierfreudige Personen? Und was sollen diese Personen ihrem Wunsch entsprechend tun? Dies verrät die Leiterin des Lehrgangs in Medienpädagogik an der FHS St.Gallen im Interview mit Chris Rutishauser, Mitarbeiter des FHS-Weiterbildungszentrums.

Selina Ingold, was unterscheidet Ihren Lehrgang von anderen Weiterbildungsangeboten mit diesem Themenschwerpunkt?

Es gibt in der Schweiz gar nicht so viele andere Angebote mit diesem Themenschwerpunkt. Bei uns ist sicher speziell, dass wir mit dem CAS Medienpädagogik verschiedene Berufsgruppen ansprechen. Der Lehrgang eignet sich nicht nur für Lehrpersonen, sondern soll auch weitere Personen aus dem Bildungsbereich, Fachleute der Sozialen Arbeit sowie Bibliotheksmitarbeitende ansprechen. Denn Medienpädagogik ist nicht nur im Bildungswesen ein Thema, sondern in verschiedenen Berufsfeldern wichtig. Ein weiterer Punkt ist, dass wir die Teilnehmenden stark in den Lehrgang miteinbeziehen. Jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer bringt spezifisches Wissen in einem Bereich mit. Wir versuchen dieses in der Gruppe vorhandene Wissen nutzbar zu machen. So werden die Teilnehmenden von Anfang an zu Mitbeteiligten, zu Akteuren. Zudem haben die Teilnehmenden Wahlmöglichkeiten. Sie können eigene thematische Schwerpunkte setzen, die für ihre Arbeit besonders relevant oder für sie persönlich von grossem Interesse sind. Ausserdem achten wir auf genügend Praxisbezug. Das qualifizierende Element des Lehrgangs ist ein Praxisprojekt, das die Teilnehmenden in ihrem beruflichen Umfeld durchführen können.

Für wen ist der Lehrgang besonders geeignet?

Der CAS Medienpädagogik ist für Personen geeignet, die in ihrem Berufsalltag andere Menschen im Umgang mit digitalen Medien begleiten oder Medienkompetenzen sowie digitale Kompetenzen vermitteln. Dabei werden nicht nur Personen angesprochen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Auch Personen, die beispielsweise in der Elternberatung tätig sind oder in einer Organisation mit Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten, sind immer wieder mit Fragen rund um die sinnvolle Nutzung von Medien konfrontiert. Nebst den formalen Teilnahmevoraussetzungen sollten die Personen ein grosses Interesse und Offenheit für Medien und Medienentwicklungen mitbringen. Die Teilnehmenden erhalten in diesem Lehrgang inhaltliches Wissen und methodisches Rüstzeug, um Entscheide rund um den Einsatz von digitalen Medien im eigenen Berufsfeld besser fällen und um medienspezifisches Wissen unterschiedlichen Zielgruppen weitergeben zu können.

Welches ist für Sie zurzeit die grösste Herausforderung in der Medienpädagogik?

Eine der grössten Herausforderungen ist die Geschwindigkeit, mit der die technologische Entwicklung auf das Sozial- und Bildungswesen prallt. Sowohl der Bildungs- als auch der Sozialbereich können mit diesem Tempo oft nicht mithalten und zeigen sich zuweilen etwas «erneuerungsträge». Was nicht nur als Kritik zu verstehen ist. Es macht zum Beispiel durchaus Sinn, dass sich Schulen nicht auf jeden kurzlebigen Trend einlassen.  Zurzeit sind die Umwälzungen im Zuge der digitalen Transformation jedoch massiv. Deshalb müssen sich Bildungsverantwortliche intensiv mit der Frage auseinandersetzen, welche Kompetenzen es künftig braucht und wie diese am besten vermittelt werden können. Hier wünsche ich mir experimentierfreudige Personen, die sich von bekannten Herangehensweisen lösen und Neues ausprobieren.

Was ist Ihnen beim Lehren und Lernen speziell wichtig?

Lehren und Lernen wird sehr von der Beziehung zwischen Lehrgangsteilnehmenden und Dozierenden beeinflusst. Es braucht einerseits eine gute Atmosphäre, um den Lernprozess zu fördern. Andererseits ist ein Lehrgang immer das Produkt und Konstrukt aller Beteiligten. Die Teilnehmenden agieren in diesem Lehrgang nicht als passive Konsumierende, sondern als aktive Teilnehmende. Sie prägen das Geschehen mit und erhalten auch den entsprechenden Gestaltungsspielraum. Mir ist zudem wichtig, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die inhaltlichen Prozesse selber ausprobieren, um das Wissen effektiv zu vertiefen und verstehen. Detaillierte Informationen zum CAS Medienpädagogik erhalten Sie hier.  

Zur Person Prof. Dr. Selina Ingold ist Projektleiterin im Institut für Innovation, Design und Engineering IDEE-FHS und zeichnet sich für den Weiterbildungslehrgang CAS Medienpädagogik an der FHS St.Gallen verantwortlich. Als Kind hatte sie stetig wechselnde Berufswünsche. Diese reichten von Bäuerin über Bühnenbildgestalterin bis hin zur Brückenbauerin. Heute bewegt sie sich beruflich in folgenden Kompetenzfeldern:

  • Mediennutzung, Medienwirkungen und gesellschaftliche Medienentwicklungen
  • Medienpädagogik in einer von digitalen Transformation geprägten Gesellschaft
  • Kulturmanagement
  • Partizipationsprozesse
Sie hält sich an folgende Worte der amerikanischen Schriftstellerin Anaïs Nin: «Das Leben schrumpft oder dehnt sich aus, proportional zum eigenen Mut.» Deshalb sollte man nie aufhören, immer wieder Neues zu wagen, rät Selina Ingold.

«Jugendliche sollen die positiven Seiten der digitalen Revolution nutzen»

Hilal Iscakar und Marion Müller haben soeben den Lehrgang CAS Medienpädagogik abgeschlossen. Im Rahmen dieser Weiterbildung erarbeiteten sie für die Fachstelle Jugendinformation der Stadt St.Gallen ein medienpädagogisches Konzept für den Aufbau einer jugendlichen Redaktionsgruppe. Wieso sie dieses Projekt gewählt haben und wie es mit der Umsetzung läuft, erzählen die beiden im Gespräch.

Sie haben für die Stadt St.Galler Fachstelle Jugendinformation «tipp» ein medienpädagogisches Konzept erstellt. Wieso?

Iscakar: Die Informationsstelle «tipp» kommuniziert derzeit eher offline, also direkt über den persönlichen Kontakt in der Fachstelle tipp und hauptsächlich über gedrucktes Informationsmaterial bzw. über Email. Im Austausch mit den Sozialarbeitenden suchten wir nach neuen Methoden. Zudem sollen Jugendliche andere Jugendliche auf einer eher niederschwelligen Ebene direkt und selbständig informieren. Und zwar über Kanäle, die sie selber aussuchen und für richtig empfinden.

Müller: Wir wählten dabei den peer to peer Ansatz. Diese Methode ist in der Medienpädagogik sehr wichtig und hat sich in den letzten Jahren positiv bewährt. Dadurch vermeiden wir den potentiellen Generationenkonflikt. Die Jugendlichen wissen am besten, was andere Jugendliche interessieren könnte. Sie informieren in ihren eigenen Worten und somit Empfängergerecht und über zeitgemässe Kanäle.

Wie haben Sie die jugendlichen Peers auf ihre Aufgabe vorbereitet?

Iscakar: Wir haben aktiv nach Peers gesucht und interessierte Jugendliche aufgefordert, sich über Social Media dafür zu bewerben. Die ausgewählten Teenager trafen sich dann mit uns angehenden Medienpädagoginnen und den Mitarbeitenden von «tipp» zu Vorbereitungssitzungen.  Wir diskutierten über Risiken und Chancen bzw. Grundhaltungen. Die Fachfrau für Kommunikation der Stadt St. Gallen war ebenfalls an einer solchen Sitzung dabei. Sie hat der Redaktionsgruppe Tipps und Tricks mitgegeben. Zudem hat ein Social Media Profi die Gruppe auf verschiedene Stolpersteine hingewiesen.

Welche Chancen und Risiken sehen Sie in der Nutzung der Sozialenmedien – insbesondere für Jugendliche?

Müller: Wichtig finde ich, dass die Jugendlichen beim Wechsel von der analogen auf die digitale Kommunikation mit dabei sind und mithalten können. Sie sollen die guten Seiten dieser Revolution miterleben und für ihre Ausbildung, in der Berufswelt und für ihre private Kommunikation im positiven Sinne nutzen können. Die digitale Revolution birgt natürlich auch Risiken, die bewältigt werden müssen. Die Schnelligkeit in der Entwicklung der digitalen Kommunikation ist ein grosses Thema. Auch die Privatsphäre gilt es zu beachten. Das unbedachte Posten von privaten Informationen in den Sozialen Netzwerken muss vermieden werden. Für diese Themen wollen wir die Jugendlichen sensibilisieren.

Die Umsetzung Ihres Konzepts läuft seit wenigen Wochen. Wie reagieren die Jugendlichen darauf? Gibt es Reaktionen von Eltern?

Iscakar: Von den Jugendlichen wird das neue Kommunikationskonzept von «tipp» gut angenommen. Zurzeit kommunizieren unsere Peers über Instagram. Demnächst soll Snapchat folgen. Um den Erfolg zu beurteilen, ist es noch etwas zu früh. Wir haben eine motivierte Redaktions-Gruppe gefunden und sind sehr stolz, dass wir so einen tollen Start hinlegen konnten. Die Peers treffen sich regelmässig und haben sichtlich Spass dabei zu sein. Wir freuen uns auf mehr!

Und zum zweiten Teil der Frage: seitens der Eltern haben wir bis jetzt noch keine Reaktionen erhalten – auch keine negativen.

Zu den Personen:

Hilal Iscakar (links) und Marion Müller, Absolventinnen CAS Medienpädagogik

Hilal Iscakar (38; links im Bild) ist Ressortleiterin der Offenen Jugendarbeit Ost der Stadt St.Gallen. Daneben ist sie in der Dienststelle Kinder Jugend Familie der Stadt St.Gallen Verantwortliche für Social Media Präventionsworkshops. Sie besuchte den CAS Medienpädagogik aus folgendem Grund:

«Ich arbeite seit 18 Jahren in der Offenen Jugendarbeit. Ich habe viele Veränderungen beobachten können, wie zurzeit die digitale Revolution in der Lebenswelt der Jugendlichen. Ich kann mich Marion nur anschliessen bzgl. der Kompetenzen die hinsichtlich der digitalen Medien überarbeitet und neu ausgestattet werden müssen. Bereits meine Masterarbeit im Studium habe ich zum Thema ‚Neue Medien in der Offenen Jugendarbeit‘ geschrieben und konnte in meiner Arbeitsstelle Workshops zum Thema mit aufbauen und durchführen. Nun wollte ich eine Weiterbildung zum Thema Medienpädagogik besuchen.»

Marion Müller (29) arbeitet als Sozialpädagogin und Gruppenleiterin im Schulinternat Redlikon (Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime zkj). Ihre Motivation für den Besuch des CAS Medienpädagogik:

«Bereits während des Studiums habe ich mich für Medienpädagogik interessiert. Meine Bachelorarbeit habe ich über Cybermobbing im Jugendalter geschrieben und in meinem Praktikum, das ich übrigens in der St.Galler Jugendinformation ‚tipp‘ absolviert habe, bin ich praktisch bereits stark mit dem Thema Neue Medien konfrontiert worden. Das Thema ist topaktuell und wird gesellschaftlich sehr kontrovers diskutiert. Ich bemerke grosse Unsicherheiten bei Eltern und Pädagogen. Die Anforderungen haben sich mit der Mediatisierung der Gesellschaft verändert – Kinder und Jugendliche müssen mit neuen Kompetenzen ausgestattet werden. Die Soziale Arbeit darf sich diesem Wandel nicht verschliessen. Gerade in meiner jetzigen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, welche Schul- und Verhaltensschwierigkeiten zeigen, sehe ich Medienkompetenz als neuen Schutzfaktor und Mittel zur Partizipation. Ebenfalls muss meiner Meinung nach Wissen unter den pädagogischen Fachpersonen generiert werden. Und es treten vermehrt medienpädagogische Fragestellungen auf Institutionsebene auf, auf die es professionelle Antworten braucht.»

Aufmerksamkeit – das höchste Gut

Das Weiterbildungszentrum der FHS St.Gallen (@wbzfhs) lanciert einen neuen Lehrgang, Digital Public Services. Er richtet sich an Medien- und Kommunikationsverantwortliche im Bereich der Public Services. Politik und Verwaltung sind ebenso angesprochen wie Gesundheits-, Kultur- und Sozialbereich.

Eine Projektgruppe aus Expertinnen und Experten hat den Lehrgang in diesem Jahr entwickelt, Feinkonzeption und Lehrgangsleitung gehen nun an Adrienne Fichter (@adfichter) über. Sie ist eine bekannte Grösse und ein sicherer Wert in der Schweizer Medienwelt: als Politologin und Medienexpertin leitet sie den Bereich Neue Medien bei der Neuen Zürcher Zeitung (@nzz). Zudem wird sie ab Januar 2017 für das Ostschweizer Zentrum für Gemeinden der FHS St.Gallen (OZG-FHS) tätig werden. Zurzeit beschäftigt sich die engagierte Wissenschaftlerin und Bloggerin mit einer Buchpublikation im Themenfeld der E-Demokratie.

Mit dem Leiter der Projektgruppe, Reto Eugster (@vorinstanz), sprach Lisa Brunner (@brunner4lisa) über den neuen Zertifikatslehrgang. Reto Eugster ist zurzeit Leiter des Masterprogramms Social Informatics sowie des Weiterbildungszentrums FHS St.Gallen.

«Digital» ist zu einer Art magischer Formel geworden. Mit diesem Label verbunden ist die Erwartung, dass ein gesellschaftlicher Umbruch ansteht. Gilt dies auch für Politik und Verwaltung?

Jeder Bereich der öffentlichen Verwaltung ist inzwischen im Internet anzutreffen. Ein Internet-Engagement ist inzwischen in keiner Weise begründungspflichtig. Es ist eher so, dass sich erklären muss, wer als Steueramt keine Steuerrechner im Web anbietet, wer als Gemeinde soziale Medien meidet usw. Diese Entwicklungen sind selbstverständlich geworden und durchdringen den Alltag. Bürgerinnen und Bürger erwarten von Politik und Verwaltung heute eine aktive Informationspolitik und eine aktivierende Kommunikation.

Nimmt die Akzeptanz für solche Kommunikationsformen zu?

Eindeutig. Das verdeutlichen aktuelle Studien praktisch ausnahmslos. Das Bundesamt für Statistik zeigt mit einer Studie beispielsweise auf, dass der Anteil von Patientinnen und Patienten, die den elektronischen Datenaustausch im medizinischen Behandlungssystem befürworten, im letzten Jahr von 59 auf 66 Prozent gestiegen ist. Wenn selbst in diesem heiklen Bereich eine solche Akzeptanzbewegung stattfindet, hat dies indikatorischen Wert.

Wir werden als Bürgerinnen und Bürger von der Politik also künftig anders angesprochen. Kann man das so sagen?

Wir müssen an einem anderen Punkt beginnen. Demokratie, Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung, gesellschaftliche Partizipation: Dies setzt informierte Akteure voraus.  Doch die Art und Weise, wie wir uns informieren, hat sich in den letzten zehn Jahren drastisch verändert. Wir können zurzeit die Politik dabei beobachten, wie sie sich dieser Entwicklung anpasst bzw. anzupassen versucht.

 Was sind Kennzeichen dieser Entwicklung?

Der «klassische» Journalismus ist offensichtlich geschwächt. Über soziale Medien richten sich Politikerinnen und Politiker häufig direkt an ihr Publikum. Selbstbestätigungsnischen sind im Internet entstanden. Zugespitzt formuliert: wir haben es zunehmend mit einer globalen Produktion von Kommunikationsnischen zu tun. Nicht nur amerikanische Präsidenten, sondern auch Kommunalpolitiker schaffen sich ein eigenes Publikum selbst. Sie liefern ihre News via Twitter oder Messenger direkt an Wählerinnen und Wähler aus. Ihr Ziel ist es, im Alltag der Leute sichtbar zu sein und das schaffen sie, indem sie den Smartphone-Bildschirm erobern.

Was sind Themenschwerpunkte, denen sich der Lehrgang zuwendet?

Beispielsweise geht es darum, wie sich «Öffentlichkeit» zurzeit verändert. Man muss die Logik von Medien verstehen, um die Kommunikationsklaviatur spielen zu können. Zentral ist die Frage: Wie können Aufmerksamkeitsbrennpunkte für konkrete Anliegen gebildet werden? Methoden der Krisen- und Konfliktkommunikation spielen eine wichtige Rolle, ebenso wie technologische und rechtliche Grundlagen. Und, wir haben es hier angesprochen, es geht auch darum, wie sich die Akzeptanz neuer Angebote gezielt verbessern lässt.

Wann startet der Lehrgang zum ersten Mal?

Der Lehrgang wird im Herbst 2017 zum ersten Mal stattfinden.

Reto Eugster, vielen Dank für das Gespräch!