Vertieftes Auseinandersetzen statt selektives Lernen

Die besten Arbeiten gehören ins Portfolio. Das gilt nicht nur in der Kunst. In einem Lern-Portfolio dokumentieren Studierende ihre individuelle Auseinandersetzung mit dem Lernstoff. Gleichzeitig fördert diese Methode das Lernen von- und den Austausch untereinander. Und sie zeigt Lernbewegungen der Studierenden auf.

Woran denken Sie, wenn Sie einen Wald sehen? Als Wanderer freuen Sie sich vielleicht auf den kühlen Schatten, als Pilzsammlerin hoffen Sie auf eine reiche Ausbeute und als Fotograf auf interessante Sujets. Obwohl es immer der gleiche Wald ist, hat er für jeden von uns je nach dem eigenen beruflichen Hintergrund und den persönlichen Erfahrungen eine andere Bedeutung. Beim Lernen ist das nicht anders. Und genau darauf zielt die Portfolio-Methode ab. Anstatt einfach dem Dozierenden zuzuhören und dann das Gehörte selektiv für die Schlussprüfung auswendig zu lernen, ermöglicht sie eine individuelle Verarbeitung des Lernstoffs. Das vertiefte Auseinandersetzen und die eigenen Gedankengänge werden dann im Lern-Portfolio dokumentiert. Mit unterschiedlichen Beitragsformaten. So entsteht eine individuelle Sammlung von Texten über Bilder bis zu Videos.

Erkenntnisse individuell präsentieren

Andreas Laib wendet die Portfolio-Methode seit mehr als zehn Jahren mit seinen Studierenden an – derzeit im CAS Betriebswirtschaft im Gesundheits- und Sozialwesen – und möchte sie nicht mehr missen. «So entsteht ein ganz anderer Umgang als bei einem klassischen Schüler-Lehrer-Verhältnis», sagt der Leiter des Lehrgangs und Dozent im Fachbereich Soziale Arbeit. Ihm geht es denn auch nicht darum, seine Studierenden von den «Lerninhalten und deren Wahrheit zu überzeugen». Vielmehr möchte er ihnen die Gelegenheit geben, sich vertieft und auf ihre eigenen Weise mit den Lehrinhalten zu befassen und ihre Erkenntnisse auf ihrem E-Portfolio individuell zu präsentieren. Ganz so, wie es eine Künstlerin mit ihren besten Arbeiten tut, wenn sie sich für einen Auftrag bewirbt. Daher kommt übrigens auch der Begriff «Portfolio».

So sieht ein E-Portfolio aus. Andreas Laib hat das Beispiel mit dem Tool «Mahara» erstellt. 

Zentrale Elemente im Lern-Portfolio sind neben diesem Produktportfolio ein Bewertungsportfolio, das dokumentiert, was gelernt wurde und ob die Vorgaben des Curriculums erfüllt sind, sowie ein Prozessportfolio, das die Effekte des Selbstlernens aufzeigt. Ziel des Lern-Portfolios ist neben der Sammlung von Lern-Produkten, die eigenen Lernprozesse zu reflektieren, die Lernfortschritte zu dokumentieren und nicht zuletzt komplexe Aufgaben erlebbar zu machen und vor allem auch den Austausch und Dialog unter den Studierenden zu fördern. Denn alle Teilnehmenden können die Portfolios der anderen einsehen. «Diese Halböffentlichkeit macht es so spannend und ermöglicht ein Peer-Learning, also das Lernen voneinander. In den Portfolios sehen wir, was die anderen aus den gleichen Inhalten gemacht haben», sagt Andreas Laib. Für ihn hat das E-Portfolio einen weiteren Vorteil. Da die Teilnehmenden ein Lerntagebuch schreiben, erhält er als Dozent ein Gefühl dafür, wie es ihnen während der Ausbildung ergeht. «Das bringt mich ganz nah an die individuelle Lernsituation der Studierenden.»

Fünf Elemente zwingend, daneben viel Freiheit

Und wie bestücken die Studierenden ihr Portfolio? Zum einen ganz nach ihren eigenen Vorlieben. Zum andern erhalten sie von Andreas Laib Aufgaben. Dazu gehören mindestens drei Lernprodukte. Das erste dient dem Einstieg in das Arbeiten mit dem Portfolio, das zweite dem Austausch unter den Teilnehmenden, indem sie untereinander Feedbacks geben, und das dritte wird für den Abschluss bewertet. Lernprodukte sind Beiträge, in denen die Teilnehmenden einen behandelten Inhalt vertiefen, auf ihre eigene Situation im Unternehmen oder der Institution im Sinne eines Praxistransfers beziehen und schliesslich alles reflektieren. Zudem müssen sie je einen Leistungsnachweis zu den Themenbereichen Volkswirtschaftslehre und Rechnungswesen schreiben. Diese fünf Elemente sind zwingend, daneben sind die Teilnehmenden frei, ihr Portfolio mit weiteren Inhalten zu bestücken. Das gilt auch für das Layout und die verwendeten Beitragsformate. Bewertet wird letztlich auch diese Leistung. «Der teilweise grosse Aufwand den die Teilnehmenden betreiben, soll im Gesamtprädikat Niederschlag finden», sagt Andreas Laib.

Positives Echo auf Portfolio-Methode

Das Echo der Teilnehmenden zur Methode ist praktisch durchwegs positiv. Zwar sei einerseits der Einstieg für sie jeweils nicht ganz einfach und viele hätten Respekt vor der Technik. Auch Fragen zum Datenschutz tauchten regelmässig auf. Andererseits schätzten die Teilnehmenden, dass sie den CAS-Lehrgang nicht mit einer einzigen Prüfung abschliessen. Ebenfalls als positiv erachten sie den ständigen Praxistransfer sowie, dass sie die inhaltliche Auseinandersetzung mit den persönlichen Interessen abstimmen können, und dass der CAS durch die vielen kleinen Arbeiten so dynamisch wirkt. «Es ist zwar streng, weil die Teilnehmenden stets dranbleiben müssen. Die überwiegende Mehrheit freut sich aber über die persönlich gestaltete Portfolioseite als Resultat und ist mit ihrer Leistung zufrieden. Das Portfolio kann man übrigens zum Abschluss auch mitnehmen und Interessierten, wie zum Beispiel, Vorgesetzten zur Verfügung stellen», sagt Andreas Laib. Vor allem die intensive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten überzeugt die Teilnehmenden. Damit ist das Ziel des individuellen Lernens erfüllt. Ein weiterer Vorteil des E-Learning-Tools. Er als Dozent müsse dieser Individualisierung aber gerecht werden. Das bedeutet: Er muss alles lesen, kommentieren und Feedback geben. «Eine Seminararbeit schreiben zu lassen, wäre viel einfacher. Aber das positive Feedback und vor allem die Portfolios machen den Aufwand mehr als wett.»

((Autorin: Andrea Sterchi, FHS St.Gallen))