«Pflegende stossen tagtäglich an ihre Grenzen»

Das Bild zeigt eine Person, die eine Weiterbildung in Palliative Care gemacht hat.

Wenn Menschen schwer krank sind, verlangt diese Situation nicht nur den Betroffenen und ihren Angehörigen viel ab, sondern auch den Pflegenden. Welche hilfreichen Strategien gibt es für Pflegefachpersonen, um im Arbeitsumfeld gesund zu bleiben? Dieser Frage ist Sarah Schönholzer in ihrer Masterarbeit nachgegangen. Die 31-Jährige hat an der FHS St.Gallen den MAS in Palliative Care absolviert. Sie arbeitet am Spital Thurgau in Münsterlingen auf der Palliativ-Abteilung, die knapp 30 Mitarbeitende zählt. Im Interview spricht sie darüber, weshalb die Palliative Care eine Art Insel darstellt, welche Mythen sich darum ranken und weshalb Pflegende klar kommunizieren sollten, was sie machen und brauchen.

Frau Schönholzer, die Palliative Care hat zum Ziel, die Lebensqualität schwer kranker Menschen zu erhalten und wenn möglich zu verbessern. Wie wichtig ist dabei die Verfassung der Pflegenden?

Es ist massgebend, dass es den Pflegenden gut geht. Sie können nur viel geben, wenn sie zu sich selbst Sorge tragen. Jemand, der ausgeglichen zur Arbeit kommt, reagiert zum Beispiel besser, wenn sich auf Station eine Krise ereignet. Es geht aber nicht nur um Erholung und Entspannung in der Freizeit. Gerade in der Palliative Care ist es wichtig, dass sich Pflegende persönlich mit den Themen Leben, Krankheit und Tod auseinandersetzen und sich fragen, was das für sie bedeutet und wie es einem selbst gehen würde, wäre man in der Lage des Patienten. Auch gilt es, seine Haltung immer wieder zu hinterfragen.  

Patientinnen und Patienten mit einer unheilbaren Krankheit sind in einer Extremsituation und können bestimmt auch mal unausstehlich sein. Ist es überhaupt möglich, ihnen immer ausgeglichen zu begegnen?

Ungesund wird es, wenn Pflegende einen Zynismus oder einen extremen schwarzen Humor entwickeln. Es ist aber in Ordnung, im Team ab und zu Psychohygiene zu betreiben. Zum Beispiel, in dem man darüber spricht, dass man sich gerade aufgeregt hat über das Verhalten eines Patienten. Pflegende stossen tagtäglich an ihre Grenzen und der Istzustand deckt sich selten mit der Idealvorstellung. Entscheidend ist, dass man anschliessend im Team reflektieren kann, was nicht optimal gelaufen ist. Schwierig wird es aber, wenn die Zeit oder entsprechende Gefässe fehlen und kein Support besteht.

Weshalb sind solche Gefässe in der Palliative Care besonders bedeutend?

Im Spital bildet die Palliativ-Abteilung eine Art Insel. Wenn ein Patient zu uns kommt, ist der Prozess nicht so vorhersehbar, wie wenn jemand ein neues Hüftgelenk bekommt. Im Umgang mit schwer kranken Menschen geht es nicht nur um medizinische Fragen, sondern auch um psychologische, spirituelle und soziale. Entsprechend ist auch das Team sehr interdisziplinär zusammengesetzt. So gehören neben Ärztinnen und Ärzten zum Beispiel auch Fachleute aus der Psychologie und Seelsorge dazu. Jeder hat Gespräche mit dem Patienten und jeder bekommt etwas anderes mit. Die Kommunikation und der Austausch zwischen all diesen Disziplinen sind deshalb sehr wichtig. Spürt der Patient, dass die Chemie im Team nicht stimmt, ist das für ihn schlimmer, als wenn er selbst zu einer Person aus dem Team keinen optimalen Draht hat.

In Ihrer Masterarbeit haben Sie die Resilienz, die Reflexion und die Supervision als wichtige Strategien beschrieben, um Stress und Belastungen im Arbeitsalltag der Palliativ Care zu bewältigen. Welche entsprechenden Massnahmen können die Organisationen wie zum Beispiel Spitäler umsetzen?

Vor allem bei der Reflexion und der Supervision spielen die Organisationen eine wichtige Rolle. Gewisse Gefässe sind unabdingbar. Regelmässige Fallbesprechungen im Team können zum Beispiel dabei helfen, Unstimmigkeiten und kleinere Konflikte zu lösen. Weiterbildungen, welche die Organisationen ermöglichen, tragen dazu bei, Fachkompetenz und die Fähigkeit zum Reflektieren zu verbessern. Ich würde mir auch wünschen, dass man Einzelsupervisionen buchen könnte, um persönliche Themen anzusprechen. Ich bin überzeugt, dass jeder einmal eine solche in Anspruch nehmen würden.

Inwiefern hat Ihre Masterarbeit Eingang in Ihren Berufsalltag gefunden?

Ich habe seither ein Augenmerk auf die Fallbesprechungen in unserem Pflegeteam gelegt. Zudem habe ich eine Weiterbildungsreihe im Team mitangestossen. Und ich habe mich dafür eingesetzt, dass wir wieder regelmässig Supervisionen erhalten.

Auch im Gesundheitswesen steigt der Kostendruck. Ist da nicht eher mit einem Abbau solcher Massnahmen zu rechnen?

Der Trend der Effizienzsteigerung macht leider auch vor uns nicht Halt. Das betrachte ich mit Sorge. Umso wichtiger ist es, dass man gemeinsam hinsteht und kommuniziert, dass Massnahmen zur Stressbewältigung in der Palliative Care wichtig sind, weil die Pflegenden dann zufriedener und gesünder sind. Wenn jemand wegen eines Burnouts ausfällt, kommt dies am Schluss viel teurer. Die Organisationsleitungen sollten überall wissen, was Pflegende machen und brauchen. Es ist also wichtig, dass die Pflegenden das mitteilen. Leider sind sie darin nicht sehr gut. Ihr Fokus liegt nicht auf dem Verhandeln.

Kann eine Weiterbildung dabei helfen?

Das adressatengerechte Kommunizieren ist eine der Kompetenzen, die ich im MAS in Palliative Care verbessern konnte. Ich habe gelernt, andere Blickwinkel einzunehmen und die richtigen Worte zu finden, je nachdem mit wem ich mich unterhalte. Dazu gehört auch, zu verdeutlichen, was Palliative Care ist. Viele Menschen haben das Gefühl, dass es sich dabei immer um die Endstation handelt und die Patientinnen und Patienten einfach genügend Morphium bekommen und dann sterben. Das stimmt nicht. Es ist gut möglich, dass jemand nach zehn Tagen auf der Palliativ-Abteilung wieder heimgeht und noch einige Zeit zuhause verbringt. Durch die Weiterbildung habe ich zudem fachlich profitiert, was mich im Beruf entspannter macht und mir Sicherheit gibt. Einen grossen Mehrwert hat auch der Austausch mit den anderen Teilnehmenden gebracht.