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«Ein Case Manager sollte sozial und empathisch sein»

Auf den diesjährigen Start des CAS Case Management hat Stephan Melliger die Leitung von Patrizia Rizzo übernommen. Im Interview sagt der 43-jährige Winterthurer, was das Besondere an diesem Lehrgang ist, welche Fähigkeiten ein Case Manager benötigt und ob er Neuerungen für die künftigen Lehrgänge plant.

Herr Melliger, Sie leiten neu den CAS Case Management, der heute Donnerstag startet. Wie ist das Interesse an diesem Lehrgang?

Sehr gut, der Kurs ist schon seit längerer Zeit ausgebucht. Es gibt eine Warteliste. Das zeigt uns, dass Case Management eine grosse Resonanz erfährt. Bereits die vorherigen Lehrgänge waren sehr gut besucht.

Aus welchen Bereichen kommen die Teilnehmenden?

Es ist eine sehr heterogene Gruppe. Viele Lehrgangsteilnehmende haben ein unterschiedliches Vorwissen und einen anderen beruflichen Hintergrund. Es gibt solche, die arbeiten im Spital, andere bei Versicherungen und wiederum andere bei den Sozialen Diensten. Die einen haben bereits Erfahrung im Case Management, andere sind Quereinsteiger und fangen ganz von vorne an. Es gibt beispielsweise viele, die in der Pflege arbeiten, denen aber der Schichtbetrieb nicht mehr zusagt und deshalb ins Case Management der beruflichen Integration wechseln möchten.

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«Der Druck wächst, so ökonomisch wie möglich zu arbeiten»

Wenn psychische Probleme die Gesundheit beeinträchtigen und die Arbeit erschweren, wenn es im Team kriselt oder wenn ein Ereignis eine ganze Belegschaft aus der Bahn wirft: Mit solchen und anderen Situationen kennt sich Patrizia Rizzo aus. Die Psychologin begleitet Einzelpersonen, Teams, Führungskräfte und Organisationen. Während ihrer langjährigen Tätigkeit bei einer externen Mitarbeiterberatung, zuletzt als klinische Direktorin, hat sie sich auf Krisenintervention, Teamentwicklung und Gesundheitsförderung spezialisiert. Die 51-Jährige leitet neu den CAS Case Management an der FHS St.Gallen. Im Interview spricht Patrizia Rizzo über Enttabuisierung, Prävention und Spannungsfelder.

Frau Rizzo, bevor Sie sich dieses Jahr selbständig gemacht haben, waren Sie über zehn Jahre bei einem weltweiten Anbieter für externe Mitarbeiterberatung tätig – auch im Bereich Case Management. Wie kann man sich diese Arbeit vorstellen?

Unsere Aufgabe bestand darin, im Auftrag von Firmen emotional oder psychisch belastete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu unterstützen. Bei einigen Personen ging es darum, sich ihren Alltagsproblemen anzunehmen und damit zu verhindern, dass Gesundheit und Arbeit darunter leiden. Andere waren langzeitkrank und es galt, sie wieder ins Erwerbsleben zu integrieren: dies in Rücksprache mit Ärzten, spezialisierten Institutionen, Versicherungen und den Arbeitgebern. Ein grosses Thema waren auch Suchtprobleme von Angestellten.

Psychische Leiden sind immer noch ein Tabuthema in der Arbeitswelt. Wie lässt sich das ändern?

Es braucht Aufklärungsarbeit. Weshalb sollte man beim Gehirn, das besonders komplex ist, davon ausgehen können, dass es immer einwandfrei funktioniert, während Beschwerden, die andere Organe betreffen, akzeptiert sind? Ich versuche, den Menschen aufzuzeigen, dass psychische Leiden häufig sind und sich bei den meisten Betroffenen auf eine gewisse Zeit beschränken. Tatsächlich leidet jeder dritte Europäer im Laufe eines jeden Jahres an einer klinisch relevanten psychischen oder neurologischen Beeinträchtigung. 90 Prozent gehen einer Arbeit nach. Wichtig ist, dass man über sein Leiden spricht und frühzeitig etwas dagegen unternimmt. Viele finden dann sogar gestärkt aus einer persönlichen Krise heraus.

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Wie reagieren, wenn Gefahr in der (Arbeits-) Umgebung droht?

Karl Weilbach beschäftigt sich als Diplom-Kriminologe und forensischer Prognostiker seit nahezu 30 Jahren mit meist schweren Formen zwischenmenschlicher Konflikte, Bedrohungen und Gewalthandlungen bis hin zu Mehrfachtötungen. Zusammen mit dem diplomierten Medienwissenschaftler, Daniele Lenzo, leitet er das Seminar Bedrohungsmanagement an der FHS St.Gallen. Was ist Bedrohungsmanagement überhaupt? Worum geht es? 

Dr. phil. Karl Weilbach

Wie heisst Bedrohungsmanagement?
Karl Weilbach: Das Wort sagt es eigentlich schon: managen von Bedrohungen. Wobei mit «managen» der fachkundige und umsichtige Umgang mit Bedrohungen und die Abwendung von Gewalthandlungen gemeint ist.  Ausgangspunkt für den Eintritt in den Prozess des Bedrohungsmanagements sind meist «mulmige Gefühle». Zunächst kann es sich nur um ein subjektives Unsicherheitsgefühl von Betroffenen handeln, die in einen Konflikt involviert sind und über ihr Irritiert-Sein berichten. Die Betroffenen nehmen meist verbale und nonverbale Gesten und Botschaften bei einer anderen Person war, die mulmige Gefühle oder erste Befürchtungen aufkommen lassen. Diese Ängste gilt es ernst zu nehmen.
Hierauf stellt sich die Frage, ob in einem bestimmten Fall eine bedrohliche Situation oder eine Drohung überhaupt vorliegt. Rechtlich gesehen wäre eine Drohung dann gegeben, wenn jemand durch schwere Drohung in Schrecken oder Angst versetzt wird. Die Drohung ist oft kombiniert mit einem anderen Vergehen gegen die Freiheit, nämlich der Nötigung. Hier wird eine betroffene Person oder Institution in der Handlungsfreiheit beschränkt. Es werden ihr ernstliche Nachteile oder Gewalthandlungen angedroht, damit die Betroffenen etwas Bestimmtes tun, unterlassen oder dulden. Auf einer nächsten Eskalationsstufe können die Betroffenen von Verbrechen gegen Leib und Leben bedroht sein. Im Bedrohungsmanagement wird deshalb immer das Risiko zielgerichteter Gewalt mitgedacht.

Ziel des Bedrohungsmanagements ist, die gewaltnahe Situation einzuschätzen, die Gefahren wahrzunehmen, zu beurteilen und abzuwenden.

Das alles kann aber kaum eine Person alleine bewältigen, oder?
Richtig, den Bedrohungsmanager gibt es nicht. Eine Person alleine kann die wichtigen Elemente des Bedrohungsmanagements nicht wahrnehmen. Ein Selbstimage als Held, als Mann/Frau fürs Grobe oder als SuperhelferIn wäre völlig fehl am Platze.
Bedrohungsmanagement ist Teamwork. Es ist meist eine interdisziplinäre Gruppe, die um angemessene Einschätzungen und Interventionen bemüht ist. Beispielsweise gehören bei der sog. «Workplace-Violence», also der Gewalt am Arbeitsplatz, einem Bedrohungsmanagement-Team meist klar definierte interne Verantwortungsträger einer Firma oder Behörde ebenso an wie externe Fachpersonen, insbesondere aus Psychologie, Forensik, Sozialarbeit und Polizei.
Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Gewaltentwicklungen durch das sog. Bedrohungsmanagement klar eingedämmt werden, ist die gelingende interdisziplinäre Kooperation und Vernetzung.

Welches sind denn die Haupt-Elemente des Bedrohungsmanagements?
Als Erstes muss man den Konflikt oder die Bedrohung erkennen. Diese Situation muss zweitens richtig beurteilt und eingeschätzt werden; es wird definiert, ob und in welcher Art eine Bedrohung oder eine Gefährdung besteht. Schliesslich muss man die bestehenden Risiken einer erwartbaren zielgerichteten Gewalt entschärfen. Häufig müssen solche Klärungs- und Handlungsprozesse relativ schnell passieren. Das alles erfolgt zumeist durch die Nutzung aller Ressourcen, die eine interdisziplinäre Gruppe bietet. Erfolgt schliesslich eine Intervention und ist fürs Erste eine Gefährdung abgemildert, bedarf es der Aufrechterhaltung des Case Managements. Gerade auch der Beobachtungsrahmen gegenüber dem sogenannten Gefährder muss langfristig gewährleistet sein. Ohne die Anbindung an Instanzen von Kontrolle und Hilfe besteht die Gefahr, dass der Gefährder über kurz oder lang wieder Groll in sich aufbaut und es an anderer Stelle wieder zu Bedrohungen oder zielgerichteter Gewalt kommt.
Ein Ziel des Bedrohungsmanagements sehe ich darin, dass es uns gelingen sollte, Drohungen, Bedrohungslagen und die Gefahr von zielgerichteter Gewalt deutlich zurückzuschrauben. Darüber hinaus sehe ich es als wichtig an, dass wir das Bedrohungsmanagement in ein produktives Konfliktmanagement «zurückführen». Wünschenswert wäre, den (vormaligen) Droher oder Gefährder nach der Interventionsphase wieder in produktive Lösungsprozesse zu integrieren. Wir würden ihn damit wieder am Wert von gesellschaftlicher Partizipation und Mitwirkung teilhaben lassen. Mit Hilfe von Inklusion wäre das Management von Bedrohungen und das Management von Konflikten wohl nachhaltiger, als es rein repressive Massnahmen sein können. In diesem Sinne können auch die Deradikalisierungsprogramme für extremistische Jugendlichen betrachtet werden.

Und in Ihrem Seminar gehen Sie auf diese Kernpunkte des Bedrohungsmanagements ein? Was können die Teilnehmenden konkret aus dem Seminar mitnehmen?
Ja, das Seminar vermittelt den Teilnehmenden mehr Einschätzungssicherheit und grundsätzliche Handlungsmöglichkeiten. Zu beachten ist, dass jeder «Fall» individuell ist. Was beispielsweise gehört noch in den Normalbereich eines Konflikts unter bestimmten Menschen, wo fängt die Grenzüberschreitung an, wo erzeugt der Akteur bewusst Angst, inwiefern gibt es schon eine gewaltnahe Vorgeschichte? Wenn jemand beispielsweise damit droht, dass er mit seiner Waffe vorbeikomme und die Kollegen dann schon sehen würden, was von der Firma noch übrig bleibe, dann könnten wir das zunächst wohl als einen strafrechtlichen Tatbestand betrachten. Andererseits sind es gerade auch die dynamischen Aspekte, die hinter einem solchen Tun stehen und über die weitere Entwicklung des Falles entscheiden: Um welche Persönlichkeit handelt es sich beim Gefährder? Welche Situationen lösen seine Aggressionsbereitschaft? Welche Hemmschwellen baut er ab? Welche Interaktionen und Interventionen können seine Gewaltbereitschaft «triggern»? Wie erfolgt die Risikoeinschätzung, wie lange ist diese gültig bzw. wann muss diese wiederholt werden? Bei wem liegt das Case Management, wer trägt für welchen Bereich Verantwortung – und wie lange? Welche Interventionen und Begleitungen können produktiv, welche kontraproduktiv wirken? Braucht es auch Anstrengungen des gesellschaftlichen Umfelds, die in der Bewältigung des Einzelfalls hilfreich wären? Das sind nur einige Fragen, die darauf hindeuten, in welche dynamischen Prozesse wir uns hineinbegeben, wenn wir ein wirksames Bedrohungsmanagement in Gang setzen wollen. Die Nachhaltigkeit des Bedrohungsmanagements stützt sich letztlich auf höchste Konzentration und auf den «langen Atem», den alle Beteiligten aufbringen müssen.

Wie arbeiten Sie im Seminar? In nur zwei Tagen müssen Sie ja sehr viel Fachwissen vermitteln?
Wir werden gemeinsam Fälle studieren und beispielsweise auch schriftliche Drohungen analysieren. Die Teilnehmenden werden in unseren zwei Seminartagen darin eingeführt, durch die Anwendung von richtigen Fragen und Parametern verschiedene Bedrohungszenarien einzuschätzen. Wir werden verschiedene Aspekte und Anwendungsinstrumente beleuchten: zu Gewalt am Arbeitsplatz, zur Entwicklung von sog. Amoktaten, zur Gewalt im Namen der Ehre oder auch – was der Schwerpunkt meines Kollegen Daniele Lenzo sein wird – in Bezug auf Radikalisierungsprozesse von jugendlichen Extremisten. Mehr dazu erfahren Interessierte im Seminar.

Näheres zu Karl Weilbach und seiner Arbeit finden Sie unter www.bedrohungsmanagement.ch.