«Ein Case Manager sollte sozial und empathisch sein»

Auf den diesjährigen Start des CAS Case Management hat Stephan Melliger die Leitung von Patrizia Rizzo übernommen. Im Interview sagt der 43-jährige Winterthurer, was das Besondere an diesem Lehrgang ist, welche Fähigkeiten ein Case Manager benötigt und ob er Neuerungen für die künftigen Lehrgänge plant.

Herr Melliger, Sie leiten neu den CAS Case Management, der heute Donnerstag startet. Wie ist das Interesse an diesem Lehrgang?

Sehr gut, der Kurs ist schon seit längerer Zeit ausgebucht. Es gibt eine Warteliste. Das zeigt uns, dass Case Management eine grosse Resonanz erfährt. Bereits die vorherigen Lehrgänge waren sehr gut besucht.

Aus welchen Bereichen kommen die Teilnehmenden?

Es ist eine sehr heterogene Gruppe. Viele Lehrgangsteilnehmende haben ein unterschiedliches Vorwissen und einen anderen beruflichen Hintergrund. Es gibt solche, die arbeiten im Spital, andere bei Versicherungen und wiederum andere bei den Sozialen Diensten. Die einen haben bereits Erfahrung im Case Management, andere sind Quereinsteiger und fangen ganz von vorne an. Es gibt beispielsweise viele, die in der Pflege arbeiten, denen aber der Schichtbetrieb nicht mehr zusagt und deshalb ins Case Management der beruflichen Integration wechseln möchten.

Was ist das Besondere an diesem Lehrgang?

Die Nähe zur Praxis und dass wir eine ganze Breite von verschiedenen Berufen und Bereichen ansprechen, in denen das Case Management tätig sein kann. Oft wird Case Management auf die berufliche Integration reduziert. Grundsätzlich aber kann man sagen, dass es dort eine Anwendung findet, wo komplexe Sachverhalte vorhanden sind – und das kommt nicht nur in der beruflichen Integration vor. Diese Vielfältigkeit unter einen Hut zu bringen, ist für uns Herausforderung und Chance zugleich.

Können bei dieser Heterogenität die Bedürfnisse einzelner Teilnehmenden nicht auch zu kurz kommen?

Solche Rückmeldungen gab es vereinzelt in den vergangenen Lehrgängen. Deshalb ist bereits bei der Selektion der Teilnehmenden darauf zu achten, wer aufgrund seines Vorwissens, Interesses und Zieles wirklich zu uns passt. Zudem ist es wichtig, dass die Interessierten im Vorfeld darüber informiert werden, dass dieser Zertifikatslehrgang eine Art Grundlagenausbildung ist und wir nicht in allen Bereichen eine derartige Vertiefung bieten können, wie es der eine oder andere vielleicht gerne hätte.

Sie haben bereits in früheren Lehrgängen doziert. Machen Sie das als Leiter des Lehrgangs weiter?

Ja, ich behalte meine Module. Es sind vorwiegend Grundlagen- und businessspezifische Module. Ausserdem bin ich neu bei der Einführung sowie im Abschlussmodul involviert.

«Nicht nur in der Arbeitswelt nimmt der Druck zu, auch im Privatleben. Das beobachte ich vor allem bei jungen Leuten. Die haben oft ein derart strenges Privatleben, dass man sich fragt, wo bleibt die Zeit zum Arbeiten.»

Stephan Melliger, Leiter des CAS Case Management

Haben Sie sich in Ihrer neuen Funktion schon eingelebt?

Ich stand in den letzten Wochen in engem Kontakt mit meiner Vorgängerin, den involvierten Referenten und der Studienkoordinatorin. Der persönliche Austausch untereinander ist mir sehr wichtig. Der CAS und alles rund herum ist mir vertraut, da ich bereits seit vier Jahren im WBZ-FHS arbeite. Mein Ziel ist es, auf nächstes Jahr hin ein oder zwei thematische Anpassungen zu machen.

Was planen Sie?

Ich möchte nicht alles auf den Kopf stellen, sondern lediglich ein paar Bereiche wie das Konfliktmanagement oder das Sozialversicherungsrecht etwas vertiefen. Das dies ein Bedürfnis ist, haben Rückmeldungen aus dem letzten Lehrgang gezeigt. Da Case Management für mich auch bedeutet, Menschen in schwierigen Situationen zu betreuen, kann ich mir gut vorstellen, dass das Thema Gesprächsführung mehr Gewicht erhalten wird.

Können Sie ein Beispiel nennen, wann Case Management zur Anwendung kommt?

Case Management ist eine Verfahrensweise zur Bearbeitung von komplexen Situationen. Ich spreche dann immer gerne auch von Wirkungszielen. In jenem Wirkungsziel, in dem ich tätig bin, ist das Ziel die berufliche Integration. Ich arbeite als Case Manager im Kantonsspital Winterthur. Zwei Drittel der Langzeitausfälle basieren auf psychischen Erkrankungen. Meistens sind die Ausgangslagen komplex. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter fällt länger aus, der Druck steigt, Vorgesetzte und das ganze Team sind gefordert. Es kann zu Überforderungssituationen kommen. Ich versuche im Rahmen meiner Case Management-Begleitung das Ganze zu entschleunigen, die Situation zu versachlichen und zwischen den verschiedenen Parteien zu vermitteln.

Dann sind Sie auch eine Art Mediator?

Ja, das bin ich, manchmal auch Dolmetscher. Meistens bin ich jener, der die Botschaften der Vorgesetzten den Mitarbeitenden überbringt, weil die in den Ohren der Betroffenen hart tönen können. Ich begleite unterschiedliche Akteure mit verschiedenen Bedürfnissen auf dem Weg der Wiedereingliederung. Aus diesen Bedürfnissen wird ein gemeinsamer Bedarf herausgearbeitet. Dieser Prozess bildet die Basis der Zielvereinbarung – ein zentrales Element im Case Management. Dies ist eine spannende Aufgabe.

Die Überforderung, die Sie ansprechen, dürfte gerade in der heutigen Zeit, in der alles schnell gehen muss, häufig vorkommen.

Das ist so. Ich bin seit über zehn Jahren in der beruflichen Integration tätig und spüre schon, dass das Tempo in der Arbeitswelt massiv zugenommen hat und höchstwahrscheinlich auch noch weiter zunehmen wird. Früher gab es in grossen Betrieben eher noch einen Sozial-Pool, wo schwächere Mitarbeitende mitgetragen wurden. Das ist heute immer weniger der Fall. Aber nicht nur in der Arbeitswelt nimmt der Druck zu, auch im Privatleben. Das beobachte ich vor allem bei jungen Leuten. Die haben oft ein derart strenges Privatleben, dass man sich fragt, wo bleibt die Zeit zum Arbeiten. Sie werden von allen Seiten gefordert und nicht alle können damit umgehen.

Welche Fähigkeiten braucht ein guter Case Manager?

Soziale Kompetenz und Empathie sind meines Erachtens sehr wichtig, da es in erster Linie ja um Menschen geht. Manchmal fühle ich mich wie in einem Spinnennetz. Ich muss enorm schauen, wie ich das Gegenüber abhole, damit ich ihm oder ihr nicht das Gefühl gebe, er oder sie werde überstimmt. Da braucht es schon eine gute Portion Feingefühl und die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Zu meiner eigenen Entlastung sage ich mir dann immer: Ich bin verantwortlich für den Prozess, für das Ergebnis sind alle Beteiligten gemeinsam verantwortlich.

Zur Person
Stephan Melliger ist seit vier Jahren Dozent am CAS Case Management an der FHS St.Gallen. Dies im Rahmen seines Engagements bei der Movis AG. In Zusammenarbeit mit diesem spezialisierten Beratungsunternehmen bietet die FHS St.Gallen den Lehrgang an. Stephan Melliger verfügt über langjährige Erfahrung als Case Manager. Er arbeitete unter anderem für Unternehmen wie die Post Schweiz AG und die Sympany Versicherungen AG. Heute ist der 43-Jährige in einem 80-Prozent-Pensum im Bereich betriebliches Case Management am Kantonsspital Winterthur tätig. Stephan Melliger ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und wohnt in Elgg bei Winterthur.