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Nachhaltige Welt: Eine Aufgabe, die alle etwas angeht

Der Begriff der Nachhaltigkeit ziert heute manches Etikett. Ihn zu durchschauen, ist allerdings komplex. Das Webinar «Enkeltauglich ins Morgenland» zeigte auf, welche Sichtweise dazu notwendig ist und was Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Individuum zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können.

Bananen tragen es ebenso wie Kleidungsstücke oder Möbel: das Prädikat «nachhaltig». Sogar Fussballclubs schmücken sich zuweilen damit. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist allgegenwärtig. Doch was bedeutet er eigentlich in der digitalisierten und globalisierten Welt, die stark vom Wandel geprägt ist? Und was können wir als Staat, Stadt, Gemeinde, Organisation, Unternehmen, aber auch als Individuum dafür tun, um möglichst nachhaltig zu agieren? Davon handelte das Webinar «Enkeltauglich ins Morgenland», das den Auftakt zur neuen Webinarreihe «Klüger am Abend» des Weiterbildungszentrums der FHS St.Gallen bildete.

Das Inputreferat hielt Stefan Tittmann, Co-Leiter des Ostschweizer Zentrums für Gemeinden OZG-FHS. Seine Fachstelle unterstützt Gemeinden, Städte und Regionen bei der Umsetzung von Projekten, die der Lebensqualität der ganzen Bevölkerung dienen, aber oft auch eine wichtige Rolle für regionale, nationale oder globale Nachhaltigkeitsziele spielen. Für Stefan Tittmann ist klar: «Nachhaltigkeit ist eine gemeinsame Aufgabe, die uns alle etwas angeht.»

Ernsthaftes Bestreben oder Greenwashing?

Um zu veranschaulichen, was Nachhaltigkeit heute bedeutet, machte Stefan Tittmann die Webinarteilnehmenden mit einem Konzept des Wirtschaftswissenschaftlers Fredmund Malik vertraut. Dieser beschreibt in seinem Buch «Navigieren in Zeiten des Umbruchs» die Treiber des Wandels, dem die Welt gegenwärtig unterworfen ist: Zu diesen Treibern gehören Demografie, Ökologie, Wissenschaft und Technologie, Ökonomie und Verschuldung. Sie alle stehen in ständiger Wechselwirkung zueinanderstehen, was sowohl beabsichtige als auch unbeabsichtigte Folgen mit sich bringt.

Ein Beispiel: Mit der rasanten technologischen Entwicklung gelangen fortlaufend neue Smartphones und andere Geräte auf den Markt. Diese eröffnen einerseits ungeahnte Möglichkeiten, bereichern und vereinfachen den Alltag. Andererseits beruht deren Produktion auf dem Abbau von Ressourcen wie besonderen Metallen. Dieser Abbau wiederum ist oftmals mit schlechten Arbeitsbedingungen verbunden, womit nicht nur in ökologischer, sondern auch in sozialer Hinsicht negative Auswirkungen entstehen. Die Komplexität, die durch die Vernetzung dieses Systems entsteht, ist laut Malik der Haupttreiber des Wandels.

«Nachhaltiges Handeln bedingt, die Komplexität des Systems zu verstehen und globale sowie lokale Auswirkungen abschätzen zu können.»

Stefan Tittmann
Co-Leiter OZG-FHS

Nachhaltiges Handeln bedinge, diese Komplexität zu verstehen und die globalen sowie lokalen Auswirkungen abschätzen zu können, so Stefan Tittmann. «Das erfordert eine integrale Sichtweise und kein Schwarz-Weiss-Denken.» Im Bereich Wirtschaft und Konsum sei der Trend zur Nachhaltigkeit in den letzten Jahren deutlich gestiegen. «Die grösste Herausforderung besteht darin, zwischen Greenwashing und ernsthaftem Bestreben zur Zukunftsverantwortung zu unterscheiden.» Denn nicht überall, wo Nachhaltigkeit draufstehe, sei auch Zukunftstauglichkeit drin.

Wie Wald und Mondlandung die Diskussion prägten

Tatsache ist, dass der Begriff «nachhaltig» immer noch sehr frei ausgelegt wird. Auch hat er eine Entwicklung durchgemacht. Dies zeigte Stefan Tittmann anhand einer Reise in die Vergangenheit auf. «Nachhaltig» ist ein altes deutsches Wort, das bereits im 1. Duden festgehalten ist und von «nachhaltend» oder «andauernd wirkend» stammt. Im 18. Jahrhundert wurde der Begriff erstmals mit Ökologie in Verbindung gebracht. Dies, als sich in mitteldeutschen Wäldern die Auswirkungen einer Übernutzung abzeichneten und die sich anbahnende Holzknappheit die Forstwirtschaft zum Umdenken zwang. Der Mensch war sich fortan der Begrenzung natürlicher Ressourcen zunehmend bewusst. Allerdings flammte mit der ersten Mondlandung die Vorstellung auf, dass durch neue Technologien doch noch ein grenzenloses Wachstum möglich sei.

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts hat sich in der Diskussion um nachhaltige Entwicklung das magische Dreieck etabliert. Demnach kann eine nachhaltige Entwicklung nur durch das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen erreicht werden.

Ein heute nochmals differenzierteres Verständnis von Nachhaltigkeit zeigt sich in der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung, die von nahezu allen Staaten der Welt ratifiziert worden ist. Sie umfasst 17 Ziele zur Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen.

Die 17 Sustainable Development Goals aus der Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung.

Individuelle Bausteine legen

Bemühungen für eine nachhaltige Entwicklung zeichnen sich aber nicht nur auf Staatsebene ab, sondern auch in vielen lokalen Projekten. So engagieren sich Gemeinden und Städte beispielsweise, indem sie mit Labels wie «Energiestadt» oder «Fair Trade Town» ein umwelt- und sozialverträglicheres Handeln anstreben. Es gebe aber auch aus der Zivilgesellschaft gute Initiativen, so Stefan Tittmann. Zum Beispiel Sharing-Konzepte, wonach nicht alle alles besitzen müssen, sondern Gebrauchsgüter miteinander teilen. Auch nannte der Co-Leiter des OZG-FHS Beispiele von Unternehmen, die mit zukunftstauglichen Produkten oder Dienstleistungen eine nachhaltige Entwicklung fördern.

Letztlich habe es jeder einzelne in der Hand, zu mehr Nachhaltigkeit beizutragen, so Stefan Tittmann. «Dies, indem man für sich eine integrale, enkeltaugliche Lebens- und Arbeitsweise entwickelt und so individuelle Bausteine zur Lösung lokaler und globaler Herausforderung legt.» Am Anfang dessen stehe die Frage nach dem guten Leben und den Spuren, die man hinterlassen wolle.

Spuren hinterlassen hat auch das Webinar «Enkeltauglich ins Morgenland». Die Teilnehmenden nutzten die Möglichkeit, sich vertieft über den Inhalt auszutauschen und zu diskutieren. Nach einer Stunde verabschiedete man sich – jeder mit vielen neuen Denkanstössen im Kopf.

«Das Duzen allein führt keinen Wandel herbei»

Seit über 22 Jahren arbeitet Shenasi Haziri für Coop. Angefangen hat er mit einer dreijährigen Ausbildung zum Detailhandelsangestellten. Heute ist er Verkaufschef in der Verkaufsregion Ostschweiz-Ticino. In dieser Führungsfunktion trägt er die Verantwortung für 34 Filialen und über 1100 Mitarbeitende. Vergangenes Jahr schloss Shenasi Haziri den Executive MBA an der FHS St.Gallen ab. Seine Masterarbeit im Rahmen dieser berufsbegleitenden Weiterbildung widmete er dem Thema «Duzen im Führungsalltag – Mehrwert oder Fluch?». Im Interview spricht er darüber, in welchen Fällen es sich bei der DU-Kultur um reine Kosmetik handelt und welches die wesentlichen Stützen für Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz sind.

Herr Haziri, in Startups mit flachen Hierarchien ist die DU-Kultur eine Selbstverständlichkeit. Aber auch immer mehr Grossfirmen, bei denen sich CEO und Praktikant wohl kaum kennen, führen das Duzen auf allen Ebenen ein. Weshalb?

Die Unternehmenskulturen haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Hierarchische Strukturen und organisatorische Prozesse werden zunehmend in Frage gestellt. Zurückzuführen ist dieser Wandel auch auf die technologischen Entwicklungen. Vor allem Startups, die im Zuge der digitalen Revolution entstanden sind, leben neue Unternehmensformen vor. Sich zu duzen, ist dort Standard. Dieser persönlichere Umgang soll Barrieren abbauen, das Silo-Denken aufbrechen und das Miteinander fördern. Will man sich im Markt als modernes und dynamisches Unternehmen positionieren, ist die DU-Kultur möglicherweise eine geeignete Massnahme. Das mag ein Grund sein, weshalb auch grössere Unternehmen wie Banken oder Versicherungen das Duzen auf allen Ebenen einführen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, solange es nicht einfach um Symbolpolitik geht.

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